Der Chronist der Winde

von Henning Mankell

José Antonio Maria Vaz ist Bäcker und arbeitet für die 90-jährige Dona Esmeralda, eine rüstige und selbstbewusste alte Frau, die außer ihrer Bäckerei auch noch ein Theater leitet. Eines Nachts findet José den kleinen Nelio im Theater seiner Arbeitgeberin. Nelio ist ein Straßenkind, schwer verletzt hat er sich im Theater versteckt und wartet auf den Tod. José will ihn ins Krankenhaus bringen, doch Nelio lehnt dies ab. Er möchte auf das Dach der Bäckerei, von wo aus er einen guten Blick über die Stadt hat. José versorgt das Kind, so gut es ihm möglich ist, doch beide wissen, dass er sterben wird.

Tagsüber arbeitet José in der Bäckerei, nachts sitzt er bei Nelio und lauscht dessen Lebensgeschichte. In neun Tagen erfährt er die ganze Geschichte von Nelio und wird dabei vom Bäcker zum Chronisten.  Als kleines Kind hatte Nelio ein schönes Leben in seinem Dorf mit seinen Eltern und seinen Geschwistern, bis zu jenem Tag, als Banditen das Dorf überfielen, die Hütten in Brand setzten und zahlreiche Leute töteten. Dabei musste Nelio zusehen, wie seine kleine Schwester, noch ein Baby, seiner Mutter entrissen und grausam getötet wurde. Einer der Banditen reichte Nelio ein Gewehr und befahl ihm, seinen Vetter, kaum älter als er selbst, zu erschießen. In seiner Verzweiflung handelte Nelio blitzschnell, richtete das Gewehr auf den Banditen, erschoss ihn und flüchtete. Mit seinen Gefährten schlug er sich durch und erreichte schließlich das Meer und dann die Stadt. Hier schloss er sich einer Bande von Straßenkindern an und wurde bald ihr Anführer. Erst ganz zum Schluss erfährt der Leser, auf welch tragische Weise die tödlichen Schüsse fielen.

Der Chronist der Winde ist ein trauriges, aber auch humorvolles Buch. Es zeigt, dass selbst im größten Elend Erfahrungen des Glücks stecken. Meisterhaft und bewegend schildert Henning Mankell, wie die Kinder ihr Leben meistern und durch viel Phantasie selbst den schlimmsten Erfahrungen etwas Gutes abgewinnen können. Jeder Charakter offenbart seine Eigenheiten, die ihn zu etwas Besonderem machen. Da ist zum Beispiel Mandioca, der Erde in seinen Hosentaschen hat, um dort Zwiebeln und Tomaten wachsen zu lassen, oder der schwerfälligen Tristeza, der neue Turnschuhe bekommen soll, wenn er es schafft, schneller zu denken, oder der schwerkranke Alfredo Bomba, dem die anderen unbedingt seinen letzten Wunsch erfüllen wollen, das Paradies zu finden, das auf keiner Landkarte verzeichnet ist. Nach dem Tod Nelios gibt José sein Leben als Bäcker auf, er verlässt seine große Liebe, die Teigmischerin Maria und will fortan als „Chronist der Winde“ Nelios Geschichte erzählen.

Mankell appelliert mit diesem Buch an die Menschenrechte und erinnert seine Leser daran, dass jeder in die Lage kommen könnte, alles zu verlieren und nur noch ums nackte Überleben zu kämpfen.

Der Chronist der Winde wurde 1995 für den August Preis und den Literaturpreis des Nordischen Rates nominiert, und mit dem Sveriges Radios Romanpris des schwedischen Radiosenders SR P1 ausgezeichnet. Eine Verfilmung von Comédia Infantil entstand 1998 in Maputo unter der Regie von Solveig Nordlund.

*Ab 14 Jahren*

Über den Autor

Henning Mankell, 1948 in Stockholm geboren, ist ein schwedischer Theaterregisseur und Autor. Bekannt wurde er in Deutschland durch seine Wallander Krimis. Den internationalen Durchbruch schaffte er mit einem Roman aus Afrika, seiner zweiten Heimat: Der Chronist der Winde. Bewundernswert ist sein Engagement für das Memory Books Projekt, in dem Aids kranke Eltern ihren Kindern Erinnerungen und Familiengeschichten hinterlassen.
Als Mankell ein Jahr alt war, ließen sich seine Eltern scheiden. Danach lebte er mit einer älteren Schwester bei seinem Vater, der als Richter arbeitete. Seine Mutter beging Selbstmord, als Mankell zwanzig war. In den Memory Books Ich sterbe, aber die Erinnerung lebt, beschreibt Henning Mankell seine Kindheit und wie der Grundstein für sein soziales Engagement gelegt wurde.
Schon als Kind wollte Mankell Schriftsteller werden, er interessierte sich aber auch für das Theater. Er begann ein Schauspielstudium, und begann während seiner Assistenzzeit am Theater Stücke zu schreiben. Seine Arbeiten waren sozialkritisch, er wollte die „Gesellschaft demaskieren“. Als er seine erste Frau kennenlernte, eine Norwegerin, zog er nach Norwegen, In dieser Zeit begann er, Romane zu schreiben. 1972 machte er eine für sein späteres Leben ausschlaggebende Reise in afrikanische Länder., und pendelt seither zwischen Schweden und Msambik. In Maputo, Mosambik, baute er eine Theatergruppe auf und übernahm die Leitung des Theaters Teatro Avenida in Maputo. Dieses Theater ist Schauplatz von Der Chronist der Winde (dt. 2000), einer Geschichte über Straßenkinder. Henning Mankell schrieb auch zahlreiche Kinder- und Jugendbücher, darunter Der Junge, der im Schnee schlief (dt. 1998).
Henning Mankell hat deutsche Vorfahren, die vor mehreren Generationen aus dem Hessischen nach Schweden auswanderten. Er ist mit der Theaterregisseurin Eva Bergman verheiratet. Das von seinem Vater geerbte Hofgut in Sveg hat Mankell 2009 dem schwedischen Dramatikerverband vermacht.