Die große Tierwanderung

Wenn bei uns die ersten Krokusse aus der Erde sprießen und die Zugvögel aus ihren südlichen Winterquartieren zurückkehren, spielt sich in Ostafrika das größte Naturschauspiel der Erde ab: die große Wanderung der Wildtierherden.

Die Serengeti ist ein Paradies für Gnus und Zebras

Die Serengeti ist das größte Tierreservat der Welt. Sie erstreckt sich zwischen dem Ngorongoro Krater, dem Victoria See und dem Mara Fluss. Auf der Karte links im Bild siehst du das Ngorongoro Conservation Area, in dem der Krater liegt. Die Serengeti ist etwa 15 000 qkm groß, also etwa so groß wie Nordirland. Drei Millionen Tiere leben hier, von denen die meisten an der Wanderung teilnehmen. Die große Migration der Gnus und Zebras ist ein einzigartiges Schauspiel, das man nur hier beobachten kann. Deshalb reisen jährlich eine Million Besucher aus aller Welt zur Safari in die Serengeti.

Entbindungsstation Savanne

Im Februar halten sich etwa zwei Millionen Gnus, 300 000 Zebras, Gazellen, Elenantilopen und Topis auf den südlichen Ebenen der Serengeti auf. Jetzt werden die Gnukälber geboren. Täglich kommen 8000 Gnu-Babies zur Welt. Es ist eines der größten Naturspektakel auf unserem Planeten. Die Raubtiere lauern schon auf die Jungen, denn sie sind leichte Beute. Doch die Gnus haben einen Trick, damit so viele Junge wie möglich überleben. Sie gebären etwa zur gleichen Zeit. So werden nur einige wenige die Beute von Löwen, Leoparden und Hyänen. Denn wenn die Räuber erst mal satt sind, gehen sie nicht auf die Jagd. Gnu Babys müssen aufpassen, dass sie in dem jetzt herrschenden Durcheinander nicht den Anschluss verlieren. Wenn Gnu-Kinder ihre Mütter verlieren, ist ihr Schicksal besiegelt. Entweder werden sie von den Raubtieren gefressen oder sie verhungern. Nach den Gnus bekommen die Zebras ihre Jungen. Ein Zebrafohlen kann bereits eine Stunde nach seiner Geburt laufen. Allerdings muss auch das kleine Zebra aufpassen, damit es nicht verloren geht. Erst nach einigen Tagen erkennt es seine Mutter –am Geruch, aber auch am individuellen Streifenmuster. Die Fohlen bringen Leben in die Kinderstube der Savanne. Sie sind ausgesprochen verspielt, neugierig und sehr lauffreudig. Sie tun sich schnell mit den Fohlen benachbarter Familien zusammen und toben durch die Savanne. 

Die große Tierwanderung ist „so alt wie die Hügel“

Zwischen März und April prasselt der Regen auf die südliche Serengeti nieder. Dann erwacht in den Millionen Gnus der Wandertrieb. Sie leiten die jährliche Tierwanderung durch die Savanne ein. Ihnen folgen die Steppenzebras, Thomson Gazellen und Topi Antilopen. In nur wenigen Tagen findet ein Massenauszug statt. Nur ein paar sesshafte Antilopen und ältere Tiere bleiben zurück, die nicht mithalten können. Sie werden zur leichten Beute der Raubtiere. Allen voran bewegen sich die Gnus nach Nordwesten, Richtung Victoria See. Sie folgen einem genetisch festgelegten inneren Trieb, der sie zu frischen Weiden und Wasserflächen führt. Mit ihren Vorderhufen hinterlassen sie Duftspuren, damit ihre Artgenossen den Weg finden. Wenn die Weiden abgegrast sind, ziehen die Herden nach Norden zum Masai-Mara Reservat, das auf der Karte oben eingezeichnet ist. Auf ihrem 3 000 Kilometer langen Rundkurs ziehen sie durch Steppe, Buschland und Wälder, immer auf der Suche nach frischem Wasser und Gras. Die Wanderung steckt voller Gefahren. Denn an ihre Fersen heften sich wachsame Löwen, Geparden und Leoparden, Hyänen, Schakale und Geier. Beim Durchqueren der Flüsse warten Krokodile auf sie. Sie alle sind Teil der Migration. Die Einheimischen sagen, dass die Tierwanderung „so alt ist wie die Hügel“.

Gemeinsam wandern bringt Vorteile

Über Jahrtausende hat sich ein perfektes Ökosystem herausgebildet. Auf ihrem Weg nach Norden weiden die Zebras das hohe, nach der Regenzeit vertrocknende Gras ab. Sie bevorzugen längere Grashalme. Gnus hingegen mögen das kurze, abgefressene Gras. Indem sie das kurze Gras abweiden, regen sie es zu neuem Wachstum an. Das frische Gras bildet die Nahrung für die Thompson-Gazellen, die den Gnus Wochen später folgen. Das vertrocknete Langgras können sie nämlich gar nicht verdauen.

Es gibt noch einen Grund mehr, warum die verschiedenen Tierarten gemeinsam wandern. Zebras haben ein gutes Auge, aber einen sehr schlechten Geruchssinn. Ganz anders die Gnus. Sie können außerordentlich gut riechen, sehen aber miserabel. Deshalb sind sie immer gemeinsam unterwegs, um gegen Angreifer besser gewappnet zu sein. Die Antilopen und Gazellen sind die „Wasserfinder“. Sie besitzen einen sechsten Sinn für unterirdische Wasseradern und sie können über viele Kilometer weit riechen, wo es gerade regnet.

Die Verfolger

Die Routen durch die Savannen werden von den majestätischen Löwen regiert. Sie begleiten die Herden und halten nach den schwachen und alten Tieren Ausschau. Sie jagen Gnus und Zebras. Die wendigen Leoparden pirschen durch die Akazienbaumlandschaften an den Flüssen. Auch sie haben Appetit auf die großen Herdentiere. Geparde jagen ihre Beute im südöstlichen Teil der Serengeti. Ihr Revier sind die offenen, flachen Savannen. Hier können sie den Vorteil ihrer hohen Geschwindigkeit voll ausspielen. Sie jagen leichtere Beute wie kleine Antilopen oder Gazellen.

Die Herden müssen ihre Jungtiere auch vor den Schakalen und Hyänen beschützen, die gewiefte und ausdauernde Jäger sind. Schließlich werden die Herden von Geiern begleitet. Die Aasfresser machen sich über die streng riechenden Überreste der Beute her. Doch sie sind unverzichtbar im Ökosystem der Serengeti. Sie streiten sich mit Sperbergeiern, Ohrengeiern und Marabus um die letzten Reste, die Löwen und Hyänen übrig lassen.

Die Herden orientieren sich an den Flüssen durch die Serengeti

Die riesigen Herden müssen während ihrer Wanderung täglich zum Wasser laufen, um ihren Durst zu stillen. Deshalb sind Flüsse und Wasserlöcher die wichtigsten Orientierungspunkte des langen Marsches. Entscheidend für die Route der Tiere ist der etwa 400  Kilometer lange Mara-Fluss. Er führt das ganze Jahr über Wasser. Selbst in den trockensten Jahren spendet er Wasser. Der Mara entspringt in fast 3000 Metern Höhe in den kenianischen Mau-Wäldern. Er fließt  hinab durch das Masai Mara Reservat, den Serengeti-Nationalpark und die Masurua-Sümpfe. Schließlich mündet er in den Victoria-See. Das Einzugsgebiet des Mara liegt in Kenia und erstreckt sich bis in den Norden von Tansania.

Der Regen regiert die große Tierwanderung

Jede Herde hat einen Anführer, einen erfahrenen Bullen oder Zebrahengst. Die Jungen wandern in der Mitte der Herde, beschützt von den älteren Tieren am Rand. Entlang den Flussläufen ziehen sie Richtung Victoria See. Sie kennen die Gefahren, die in den Flüssen droht. Die Strömung könnte die Jungen und die schwachen Tiere abtreiben, und die Krokodile warten nur darauf, dass sich die Gnus und Zebras den Flüssen nähern. Denn im Wasser sind sie den Vierbeinern überlegen. Wenn die Trockenzeit im Juni einsetzt, haben die Tierherden keine Wahl. Hunger und Durst treiben sie zur gefährlichen Überquerung der Flüsse. Denn sie müssen zu den fruchtbaren Gebieten im Norden gelangen, sonst würden die Jungen nicht überleben.

Die Überquerung der Flüsse ist das größte Hindernis

Das Flusswasser ist im Juni flach genug für eine Überquerung. Im seichten Wasser warten massige, fünf Meter lange Nilkrokodile auf ihre Opfer. Sie versammeln sich an den seichtesten Stellen, bereit ihre Beute zu schlagen und zu verschlingen. Die Herden jagen genau an diesen seichten Stellen in schnellem Lauf durch den Fluss. Einige werden Opfer der Krokodile. Die meisten aber setzen die Wanderung Richtung Norden fort. Sie bewegen sich Richtung Masai Mara zum Mara Fluss.

 

Zwischen September und Oktober ziehen die Herden durch den Masai-Mara-Nationalpark. Hier gibt es genügend Wasser und Weideflächen. Könnten sie immer hier bleiben? Der Rhythmus der Jahreszeiten treibt sie zurück. Wenn im November die kleine Regenzeit einsetzt, machen sich die Tiere auf den Rückweg in den Süden, an den Ort ihrer Geburt. Hier werden sie ihre nächsten Jungen gebären und eine neue Generation großziehen.

Die Serengeti darf nicht sterben

Bernhard Gzimek hat mit seinen Filmen über die Serengeti  auf das großartige Naturschauspiel der Tierwanderungen aufmerksam gemacht. Er hat sich dafür eingesetzt, dass die Serengeti ein zusammenhängendes Naturschutzgebiet wird. Der Ngorongoro Krater, der ein Teil der Serengeti  ist, wurde von der UNESCO sogar zum Weltkulturerbe erhoben.

Leider ist die Serengeti heute wieder bedroht. Dem Mara Fluss wird immer mehr Wasser entzogen durch die Abholzung der Wälder in seinem Quellgebiet. Zusätzlich entnehmen ihm die Bauern Wasser für die Bewässerung ihrer Felder. Wenn diese Entwicklung so weiter geht, dann hätte dies verheerende Folgen für Tiere und Menschen. Die Herden würden nicht mehr zum Mara Fluss wandern. Das Savannengras würde hoch aufwachsen und vertrocknen, wenn es nicht regelmäßig abgeweidet wird. Vernichtende Buschbrände würden einsetzen und Vögel, Elefanten, Giraffen und Nashörner gefährden. In aller Welt machen sich Naturforscher Gedanken darüber, wie man die Wasserprobleme in der Serengeti lösen kann.

Hier siehst du einen Film über Tiere in der Serengeti

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