3. April 2018 Afrikanische Literatur – Neues von der Leipziger Buchmesse 2018
Die hier vorgestellten Romane erzählen von Identitätssuche und Selbsterfahrung, von Krieg, Verlust und wie verschiedene Generationen mit Trauer umgehen. Alles schwerblütige Themen, die sich mit den Schattenseiten Afrikas auseinander setzen. Immer mehr Frauen setzen sich mutig mit ihrer Geschichte auseinander und lassen uns an ihren Erfahrungen teilhaben, die verstörend, irritierend und dabei immer erhellend sind. Sie liefern den Beweis dafür, wie schnell sich die afrikanischen Gesellschaften unter dem Einfluss ihrer sich emanzipierenden Töchter verändern. Unter den literarischen Vorstellungen ein Exot: ein außergewöhnlicher Bildband, der es schafft, mit Fotos Geschichten über Afrika zu erzählen.
Into Africa: Der Zauber eines einzigartigen Kontinents. Von Frans Lanting und Chris Eckstrom. Übersetzung a.d. Englischen Ulrike Kretschmer. Knesebeck 2017
Der Bildband Into Africa zeigt in jedem seiner beeindruckenden Fotos, dass Afrika ein faszinierender Kontinent mit beeindruckenden Landschaften ist: vom tropischen Regenwald, den Feuchtgebieten des Okavango-Deltas, über die Serengeti und die einzigartige Natur Madagaskars bis zur Namib. Frans Lanting reist seit Jahrzehnten im Auftrag des National Geographic Magazine durch diesen Kontinent und dokumentiert beeindruckende Landschaften und ihre Tierwelt, deren Veränderungen und ihre Bedrohung. Es gelingt ihm, intime Momente mit Tieren einzufangen, die es in der Wildnis immer seltener zu finden gibt: Nashörner, Elefanten, Lemuren oder Gorillas.
Der Niederländer Frans Lanting ist Profi-Fotograf und bereiste über Jahrzehnte unsere Erde. Er zählt zu den bekanntesten Naturfotografen, der im Auftrag des National Geographic unterwegs ist. Die besondere Begabung von Frans Lanting beschrieb Thomas Kennedy, ehemaliger Direktor für Fotografie bei National Geographic, so: „Er hat den Geist eines Wissenschaftlers, das Herz eines Jägers und den Blick eines Dichters.“
Der Ort, an dem die Reise endet. Roman von Yvonne Adhiambo Owuor. Aus dem Englischen von Simone Jakob. Dumont 2017
2007 wird der Student Odidi von Soldaten durch die Straßen Nairobis getrieben und getötet. Der Roman „Der Ort, an dem die Reise endet“ von Yvonne Adhiambo Owuor nimmt seinen Ausgang bei den Unruhen, die den gefälschten Präsidentschaftswahlen jenes Jahres folgten. Odidis Familie geht an der Trauer um den verlorenen Sohn fast zugrunde. Gleichzeitig werden Familiengeheimnisse offenbar, die bis tief in die britische Kolonialzeit und die Unabhängigkeitskämpfe reichen. Ein gut recherchiertes, rasant geschriebenes und spannend zu lesendes Romandebüt aus Kenia.
Yvonne Adhiambo Owuor ist Kenianerin und lebt in der Hauptstadt Nairobi. Sie hat bisher Kurzgeschichten veröffentlicht. Von 2003 bis 2005 leitete sie das internationale Filmfestival in Sansibar. „Der Ort, an dem die Reise endet“ ist ihr erster Roman, erschien zuerst 2015 in den USA. Er hat ihr den Jomo Kenyatta Prize for Literature eingebracht.
Riwan oder der Sandweg. Roman von Ken Bugul. Übersetzung aus dem Frz. von Jutta Himmelreich TB Unionsverlag 2016
Als die senegalesische Autorin Ken Bugul ernüchtert aus Europa in ihr Dorf zurückkehrt, ist sie zu einer Außenseiterin geworden. Sie ist die Gescheiterte, die mit leeren Händen nach Hause gekommen ist, ohne Geld, ohne Mann, ohne zu wissen, wie es weitergehen soll. Sie flüchtet erneut aus der Enge der Dorfgemeinschaft, und führt ein prekäres Leben in der Hauptstadt Dakar. Bis sie dem Serigne begegnet, einem Marabout, der sie zu seiner achtundzwanzigsten Ehefrau macht.
Dieser Roman erzählt mutig über afrikanisch-islamische Traditionen und Polygamie, Verführung und Selbstbestimmung.
Riwan oder der Sandweg wurde zu einem der hundert bedeutsamsten afrikanischen Bücher des 20. Jahrhunderts gewählt und mit dem wichtigsten afrikanischen Literaturpreis, dem Grand Prix Littéraire de l’Afrique Noire ausgezeichnet.
Ken Bugul ist das selbstgewählte Pseudonym von Mariétou Mbaye und bedeutet „die, die niemand will“.
Song for Night by Chris Abani. Akashik Books, 2007
Song for Night spielt vor dem Hintergrund des Biafra-Krieges in Nigeria. My Luck, der Ich-Erzähler, ist 15 Jahre alt, seit 3 Jahren Soldat und mittlerweile Major einer Spezialeinheit von Minenentschärfern der Rebellenarmee. Nach einer Minenexplosion erwacht er, allein, und begibt sich auf die Suche nach seiner Einheit. War er der einzig Überlebende? Er ist stumm, warum, das ist so schrecklich wie der Krieg, von dem er berichtet. Er trifft auf zerstörte Ortschaften und die Geister der Toten und Überlebenden des Krieges und findet keine Ruhe. Statt zu seiner Einheit, führt ihn seine ausweglose Mission voller Träume und Visionen von einem Ort traumatischer Erinnerung zur nächsten. Er wird heimgesucht von Menschen, denen er das Leben nahm und Menschen die er verlor, von Major Essien alias John Wayne, mit dessen Ermordung sich My Luck zum Anführer der Einheit beförderte, von Ijeoma, deren Liebe ihn bis zu ihrem Tod an etwas Gutes glauben ließ, sowie von seiner Mutter.
Der nigerianische Autor Chris Abani wurde für sein Werk mit zahlreichen Preisen, u. a. dem Hurston-Wright Legacy Award ausgezeichnet. Seinen ersten Roman The Masters of the Board veröffentlichte er bereits als Teenager. Nach mehrfachen Inhaftierungen wegen regimekritischer Äußerungen, verließ er seine Heimat und lebt und lehrt heute in Illinois in den USA. Abani ist nicht nur Romanautor, sondern auch Dramaturg und Dichter. Letzteres manifestiert sich auch in seiner bemerkenswert poetischen Prosa. Auf Deutsch ist von seinen sechs Romanen und Novellen bisher nur Graceland (C.H. Beck, 2004) erschienen.
Nachtrag zu Patrice Nganang, dem kameruner Autor des Romans Hundezeiten:
Am 15. Dez. hatte Patrice Nganang vor dem kameruner Gericht die Anklage gegen sich als „politisch“ zurückgewiesen. Das Verfahren wurde vertagt, Patrice wurde im Zentralgefängnis Kondegui festgehalten. Hier drängeln sich vier Tausend Häftlinge in Räumlichkeiten für eintausend Menschen, zugleich gibt es einen „Ehrentrakt“ für prominente Gefangene. Am 27. Dezember ging der Prozess weiter, früher als geplant, und auch schneller als gedacht. Nach wenigen Minuten beantragte die Staatsanwaltschaft, dass der Prozess eingestellt wird. Viele vermuten, dass dies auf politischen Druck aus dem Ausland geschah – vor allem durch Kollegen aus den USA, wo Patrice Nganang als Literaturprofessor lebt. Die Vorgänge sprechen dafür, dass Willkürregime wie in Kamerun bald der Vergangenheit angehören. Bis dahin wird Patrice Nganang nicht mehr nach Kamerun reisen können. Lieber Patrice, Du wusstest das ja irgendwie schon in Deinem hellsichtigen Roman „Hundezeiten“!
Veranstaltungs-Tipps:
Am 26. April ist Eröffnung des African Book Festival 2018 in Berlin unter dem Titel Writing in Migration, bei dem die AutorInnen der drei letztgenannten Romane zu Gast sind. Ort: Babylon, Rosa-Luxemburg-Straße 30, 10178 Berlin
Im Museum Fünf Kontinente in München zeigt vom 23.3. – 1.7.2018 eine Ausstellung Fotografien von Angèle Etoundi Essamba. Unter dem Titel Töchter des Lebens zeigt die Kamerunerin, die in den Niederlanden Photographie studierte, Afrikanerinnen aus einer ganz persönlichen, sehr poetischen Warte. Mit Phantasie und großer Sensibilität dokumentiert sie die Würde, Stärke und das Selbstbewußtsein der modernen Frauen Afrikas.