Jugendproteste in Afrika 2019

(c) Yasuyoshi Chiba

Dieses Photo schoss der japanische Fotograf  Yasuyoshi Chiba während der Jugendproteste im Sudan 2019. Es zeigt einen jungen Mann, der im Schein von Handy-Lampen Gedichte rezitiert. „Straight Voice“, gerade herausgesprochen, ist das Siegerbild des World Press Photo Contest, es zeigt einen Moment der Poesie mitten in den blutigen Protesten im Sudan.

Stoppt Corona die Jugendproteste in Afrika?

Dass hunderttausende Jugendliche sich in vielen afrikanischen Ländern erheben und ihre Regierungen herausfordern, ist eine totale Neuentwicklung in Afrika. Lange galt in vielen Ländern Afrikas das Prinzip, «Suffering and Smiling»: Man leidet, aber lächelt dabei. Jugendproteste flammten zwar in einzelnen Ländern immer wieder auf, wurden aber auch schnell von Polizei und Militär niedergeschlagen. 2019 änderte sich das. Vielerorts kam es zu einer Emanzipation der Massen: Wer leidet, schweigt nicht mehr, sondern fordert Verbesserungen oder verlangt nach einem Umsturz. Der Mut der Verzweifelten und der Kampfgeist der Enttäuschten beherrschte die Großstädte Afrikas, im Norden wie auch in den Ländern südlich der Sahara.

Die Gründe für den Zorn

Die Gründe für den Zorn der Menschen liegen auf der Hand. Rund ein Drittel der 1,3 Milliarden AfrikanerInnen lebt in absoluter Armut. Von den hohen wirtschaftlichen Wachstumsraten der letzten Jahre profitierte meist nur eine kleine Elite. Jobs gibt es noch immer viel zu wenige, die staatlichen Dienstleistungen sind ungenügend und die Korruption grassiert. Besonders für die junge Generation sind die Perspektiven düster. Laut Weltbank sind die sozialen Aufstiegschancen für junge Menschen auf keinem Kontinent geringer als hier. Nur einer von vier Schulabgängern findet eine Stelle. Viele dieser Missstände existieren in Afrika seit Jahrzehnten, ohne dass diese zu großen Revolten geführt hätten. Was hat zu der jüngsten Entwicklung geführt? Da ist einmal die Digitalisierung, die es möglich gemacht hat, dass Demonstrationen in verschiedenen Städten koordiniert werden können. Dazu zählt das starke Wachstum afrikanischer Städte, in denen sich Proteste viel rascher ausbreiten als auf dem Land. Und dazu gehört die Tatsache, dass sich in den letzten Jahren in vielen Ländern eine kleine, kritische Mittelschicht gebildet hat. Diese vertritt selbstbewusst ihre Interessen gegenüber autoritären Regierungen. Immer weniger lassen sich mit falschen Versprechen abspeisen. Und weil es bei Wahlen in Afrika selten eine wirkliche Wahl gibt, gehen sie auf die Straße.

Corona verstärkt die Wut

Für bedrängte Regime Afrikas verhilft die gegenwärtige Pandemie zu einer willkommenen Verschnaufpause. Die Demonstranten müssen zu Hause bleiben, daher lässt der Protest nach. Doch die Wut der Menschen wird nicht verschwinden, im Gegenteil. Wenn die Corona-Krise den Kontinent wirtschaftlich lähmen wird, dann werden die Missstände der Regierungen nicht mehr zu vertuschen sein. Die Proteste dürften dann umso heftiger wieder aufflammen, sobald das Virus unter Kontrolle ist.

Was bedeutet das für die Zukunft des Kontinents? Im besten Fall können Proteste überfällige Veränderungen anstoßen. In Äthiopien leiteten die ausdauernden Demonstranten die Demokratisierung ein. Im Sudan stürzten sie einen unantastbar scheinenden Autokraten. In Malawi wurde nach Protesten die manipulierte Wahl annulliert, die Regierung von Ghana musste wegen des Unmuts in der Bevölkerung auf den teuren Neubau des Parlaments verzichten. Im schlechteren Fall aber bewirken Proteste genau das Gegenteil von dem, was sie anstreben. In Togo, Tschad und Benin haben regierungskritische Demonstrationen dazu geführt, dass die Freiheiten eingeschränkt wurden. In Kamerun mündeten die friedlichen Demonstrationen in eine bürgerkriegsähnliche Krise. In Guinea änderte der Präsident trotz zahlreicher Proteste die Verfassung, um noch länger an der Macht zu bleiben.

Stabilität oder Umbruch

Der wachsende Widerstand in Afrika ist vor allem für die Jugend eine Chance, wenn sie dazu beitragen kann, dass verantwortungsvolle PolitikerInnen die Macht übernehmen. Ob dies gelingt, liegt in ihren Händen. Doch der Einfluss europäischer, amerikanischer oder chinesischer Regierungen ist ebenfalls wichtig. Europa hat zwar einiges an Einfluss verloren, trotzdem spielt es immer noch eine Rolle, wie etwa Paris, Berlin oder Brüssel zu einer bestimmten afrikanischen Regierung steht. Bisher galt dabei leider ein Leitprinzip: Ein Freund Europas ist, wer Stabilität bietet. Demokratie und Menschenrechte spielten nur in Absichtserklärungen eine gewisse Rolle, aber kaum in der Politik der Länder. So kam es, dass Autokraten wie Déby im Tschad, Museveni in Uganda, Biya in Kamerun Jahrzehnte lang auf die Unterstützung des Westens zählen konnten.

Diese Politik hat ausgedient: Wo Politiker nicht die Bedürfnisse der Menschen ins Zentrum stellen, sondern nur egoistische Interessen verfolgen, wächst der Zorn. Denn immerhin gilt: Fast sieben von zehn AfrikanerInnen erachten die Demokratie als beste Regierungsform. Der Wunsch nach Freiheit ist ihnen sehr wichtig. Hinzu kommt: Die meisten Jugendlichen gehen auf die Straße, weil sie keine Zukunftsperspektiven haben und marginalisiert werden. Diese Erkenntnis ist wichtig für Europa. Die Protestierenden in Algier, Khartum, Jaunde oder Lomé, machen klar, dass sie Unterstützung verdienen, und nicht die alten Regierungskader, die sich dank europäischer und anderweitiger Zuwendungen an der Macht halten können. Die Jugend benötigt keine Zuwendungen, sie benötigt Hilfe zu Selbsthilfe.