Afrika wird unabhängig

Seit die ersten Europäer im 15. Jahrhundert n. Christus afrikanischen Boden besetzten, gab es afrikanische Widerstandsbewegungen gegen die Kolonialmächte. Heftigen Widerstand leisteten die Herero in Namibia, die Zulu in Südafrika, die Kikuyu in Kenia, die Algerier und viele andere Völker. Für Afrika schlug die Stunde Null, als die europäischen Kolonialmächte nicht mehr anders konnten, als die kolonisierten Gebiete in die Unabhängigkeit zu entlassen.

Vorkämpfer der Unabhängigkeit

„Geht endlich weg – und vor allem – kommt niemals zurück“, sagte Sultan Machemba, Anführer der Yao in Ostafrika, zu europäischen Kolonialherren. Viele Afrikaner widersetzten sich den Europäern. Eine der prominentesten Kriegerpersönlichkeiten war Shaka, der legendäre Zulukönig. Er schuf ein großes Reich in Südafrika und wurde zu einem einflussreichen Gegenspieler der englischen Truppen, die im 19. Jahrhundert Südafrika unter ihre Kontrolle brachten.

Politiker der Unabhängigkeit

Die afrikanischen Widerstandsbewegungen in Ghana, Südafrika und Simbabwe gewannen nach dem zweiten Weltkrieg an Einfluss. Nach  dem Ende des Zeiten Weltkrieges wurden sie zu einer politischen Kraft. Der Freiheitskampf in Indien hatte ein Zeichen gesetzt, wie man fremde Machthaber abschüttelt.

 

Nationalhelden wie der Mau-Mau General Dedan Kimathi von Kenia – links – Kwame Nkrumah in Ghana –  im Bild Mitte – Patrice Lumumba in Kongo – rechts – waren eine Bedrohung für die Kolonialmächte. Sie waren unbestechlich und ungeheuer populär.

Die Machtübergabe wird vorbereitet

Frankreich und England, die größten Kolonialmächte auf dem Kontinent, aber auch Belgien, Holland und Deutschland waren durch den Krieg geschwächt. Sie bezogen aus ihren Kolonien nicht mehr den Reichtum wie noch einige Jahrzehnte zuvor. War es also klüger, sich zurückzuziehen? Die Briten meinten ja. Sie stellten in den fünfziger Jahren die Weichen zur Machtübergabe. Europa wollte ein demokratisches Afrika, aber auf allen Einfluss verzichten wollte man auch nicht. Denn die Welt hatte sich nach dem Weltkrieg völlig verändert. Europa war zwischen den neuen aufstrebenden Weltmächten USA und Russland kaltgestellt. Es herrschte Kalter Krieg zwischen dem freiheitlichen Westen und dem kommunistischen Osten. Bei der Machtübergabe versuchten die europäischen Kolonialherren afrikanische Politiker zu unterstützten, die ihrer politischen Richtung genehm waren. Die Briten, die im Spiel der neuen Weltmächte ihren Platz an der Seite Amerikas sahen, versuchten sich von der Last ihrer afrikanischen Kolonien zu befreien. Die Franzosen unternahmen alles, um ihre afrikanischen  Machtbereiche zu erhalten. Die Karte links zeigt die afrikanischen Kolonialstaaten vor der Unabhängigkeit.

Einige Kolonien werden unregierbar – Englands Lösung

Die Europäer glaubten, das Heft des Handelns in ihrer Hand zu haben. Doch in einigen Kolonien herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände. In den britischen Kolonien betraf das vor allem Kenia, Nigeria und Rhodesien. In Kenia kam es zu blutigen Auseinandersetzungen mit den Kikuyu, die sich gegen die Landnahme der weißen Siedler und der britischen Kolonialherren wehrten. Der Kampf gegen die Mau Mau Bewegung war der schrecklichste Krieg, den die Briten in Afrika führten. Sie siegten zwar, aber am Ende waren sie die Verlierer. Die grausame Niederschlagung des Aufstandes brachte ihre Macht auf dem afrikanischen Kontinent ins Wanken. Hinzu kam der Unruheherd in Nigeria. Die Wahlen 1951 schürten regionale Konflikte zwischen den drei große Volksgruppen, den Ibo, den Yoruba und Hausa-Fulani. Das riesige Nigeria erschien mit einem Mal unregierbar. In Südrhodesien erklärten weiße Siedler einseitig die Unabhängigkeit. Es kam zu Kämpfen  zwischen afrikanischen Nationalisten unter Robert Mugabe und Briten. Auch die Zentralafrikanische Förderation zersplitterte an nationalistischen Streitereien.

Einige Kolonien lassen sich auf eine Zwischenlösung ein – Frankreich taktiert

Frankreich erfand eine Zwischenlösung, die „Communauté Française“, eine Art französische Union, in die sie die ehemaligen Kolonien einbinden wollte. Als die französischen Kolonien 1958 in einem Referendum vor die Wahl gestellt wurden, zog nämlich der überwiegende Teil der Bevölkerung vor, weiterhin unter französischem Protektorat zu bleiben. Grund waren die kolonialen Leistungen, die von Frankreich erbracht wurden wie Bildung, Eisenbahnbau, Bau von Kraftwerken und Verwaltung.

Léopold Sédar Senghor war ein senegalesischer Dichter und Politiker

Léopold Sédar Senghor war von 1960 bis 1980 der erste Präsident des unabhängigen Senegal, das einst unter französischer Kolonialherrschaft stand. Léopold Sédar Senghor galt als Vertreter des afrikanischen Sozialismus, in dem afrikanische Werte verankert sind. Von Kritikern wurde Senghor vorgeworfen, dass er sich kulturell und politisch zu sehr an Europa orientiere und zu wenig versuche, eine eigenständige afrikanische Identität aufzubauen. Tatsächlich hatte er ursprünglich versucht, den Senegal stärker an Frankreich zu binden. Doch die Mehrheit der Senegalesen wollte die völlige Unabhängigkeit, doch Senghor suchte dennoch die Versöhnung mit Frankreich, was ihm auch teilweise gelang.

Frankreich führte noch einen verzweifelten Krieg gegen das besetzte Algerien, doch die Unabhängigkeitsbestrebungen in dem Land waren unbezwingbar. Nach dem Ende des Algerienkrieges 1962 gab es für Frankreich nur noch den Rückzug. Das französische Kolonialreich war Geschichte. Die Karte rechts zeigt die afrikanischen Länder mit dem Datum, wann sie unabhängig wurden.

Wollten alle Afrikaner die Unabhängigkeit?

Bis heute bestehen fragwürdige Allianzen zwischen Frankreich und seinen ehemaligen Kolonien fort. Noch immer hat Frankreich Armeen in Afrika stationiert oder entsendet zusätzliche Streitkräfte wie derzeit in Mali. Von der Wirtschaft über Verwaltungsstrukturen bis zum Schulsystem – der französische Einfluss ist in den ehemaligen Kolonien noch überall präsent. Für die französische Atomkraft wird Uran in Niger abgebaut und werden afrikanische Böden kontaminiert.

Die demokratische Republik Kongo – ein Sonderfall in der Geschichte der Unabhängigkeit

Der Kongo hatte die brutalste Kolonialherrschaft in Afrika hinter sich. Die Gräueltaten von belgischen Kolonialverwaltern an Kongolesen hatten die Weltöffentlichkeit erschüttert. Belgien musste den Kongo in die Freiheit entlassen. Nun war auch der Übergang in die Unabhängigkeit war von einem grausamen Ereignis überschattet.

Patrice Lumumba – erster Premier Minister im unabhängig erklärten Kongo

Patrice Lumumba auf einem Plakat in Leipzig (c) BundesarchivKurz vor dem Unabhängigkeitstag wurde Patrice Lumumba, ein glühender Anhänger des Panafrikanismus, zum Premierminister des Kongo gewählt. Bei der Unabhängigkeitsfeier am 30. Juni 1960 war der belgische König Baudouin eingeladen. Baudouin lobte die angeblichen Errungenschaften unter belgischer Herrschaft. Ein Hohn! Lumumba verurteilte die Unterdrückung durch die Belgier. Seine Kritik kostete Lumumba das Leben: Noch im selben Jahr stürzte ihn der frühere Weggefährte und spätere Diktator Joseph Mobutu mit Hilfe des amerikanischen Geheimdienstes CIA. Lumumba wurde gefangen genommen und bald darauf in die abtrünnige Provinz Katanga verlegt. Hier hatten belgische Offiziere und Funktionäre freie Hand, sie ermordeten Lumumba.

Eines der letzten Fotos von Patrice Lumumba

Die Ermordung Lumumbas war der Höhepunkt in dem Chaos kurz nach der Unabhängigkeitserklärung. Bürgerkriegsartige Kämpfe erschütterten das riesige Land. Belgien entschuldigte sich später beim kongolesischen Staat, doch juristische Konsequenzen hatte der Fall nicht. Der farbige Bereich dieser Karte markiert das Kongogebiet zur Zeit der belgischen Kolonialherrschaft.

 

Afrika erfindet sich neu – die spannende Zeit der Unabhängigkeit

Ahmed Sékou Touré

„Vereinzelt sind wir schwach. Vereinigt jedoch könnte Afrika wahrhaftig eine der stärksten Kräfte der Welt sein.“ Das sagte der Freiheitskämpfer Kwame Nkrumah, der Ghana 1957 in die Unabhängigkeit führte.  Ghana war der Vorreiter unter den einstigen englischen Kolonien, der den Traum von einer politischen Selbstbestimmung wahr machte. „Wir ziehen die Armut in Freiheit dem Reichtum in Sklaverei vor.“ verkündete Guineas Präsident Ahmed Sékou Touré ein Jahr später. Er sagte sein Land 1958 von der französischen Vorherrschaft los. Er verzichtete damit auf eine Reihe von wirtschaftlichen Vorteilen, die Frankreich für den Verbleib in der Communité bot. Zwei Jahre später 1960 folgten die elf verbliebenen Mitglieder der Communauté Guinea in die Freiheit. Im selben Jahr erlangten auch Kamerun und Togo, die unter französischer Verwaltung standen, die Unabhängigkeit. Besonders aufreibend waren die Unabhängigkeitskämpfe in den einstigen portugiesischen Kolonien Angola und Mosambik. Sie werden erst unabhängig, als die Diktatur in Portugal 1974 endete. Nach langen Kriegen wurden zuletzt Simbabwe 1980 und Namibia 1990 in die Unabhängigkeit entlassen. Links im Bild ist Guineas Präsident Ahmed Sékou Touré zu sehen.

Erfolge und Probleme nach der Unabhängigkeit

Die Unabhängigkeit war wie ein Aufbruch in eine neue Zeit. Viele empfanden die Unabhängigkeit als ungeheure Befreiung, die ungeahnte Energien freisetzte. Es wurden Flaggen entworfen, Landesnamen kreiert, Nationalhymnen gedichtet. Teure Fluglinien wurden eingerichtet, ein Zeichen von Modernismus und technischer Beherrschbarkeit. Alle afrikanischen Staaten experimentierten in den ersten Jahren der Unabhängigkeit mit Parteien, Wahlen und Regierungsformen. Manches wurde so belassen, wie es von den Kolonialmächten einst bestimmt war, wie die Grenzen. Sie stellten eine der schwierigen Erbschaften aus Kolonialzeiten dar. Bei der Eroberung Afrikas wurden sie willkürlich gezogen, ohne Rücksicht auf bereits bestehende Völkergrenzen. Als Ergebnis sind heute nahezu alle afrikanischen Staaten Vielvölkerstaaten mit den sich daraus ergebenden Konflikten wie derzeit in Nigeria oder Mali. Ein weiteres Problem bildet die wirtschaftliche Ausrichtung. Fast alle afrikanischen Länder haben sich wie zu Kolonialzeiten auf ihre Rolle als Rohstofflieferant beschränkt, vor allem für Lebens- und Genussmittel, für Bergbauprodukte, Öl und seltene Erden. Das verarbeitende Gewerbe wurde buchstäblich ausgeblendet. Daran hat sich auch nach der Unabhängigkeit nur wenig geändert. Für die früheren Kolonialmächte ist es ein Vorteil, für die afrikanischen Länder ist es verheerend. Viele afrikanische Volkswirtschaften sind auf Gedeih und Verderb den Weltmarktpreisen ausgeliefert. Sie können die Preise nicht selbst bestimmen.