Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy
(I don’t come to you by Chance). Roman von Adaobi Tricia Nwaubani. Suhrkamp 2011
Kingsley, der Erstgeborene, darf bei Tisch darauf warten, dass das Essen serviert wird, in seiner dünnen Egusi-Suppe schwimmt ein Stück Fleisch, sein Universitätsabschluss wird mit einer Party gefeiert. Doch die Zeiten in Nigeria sind schlecht, er findet keine Arbeit, und der Brautpreis für seine süße Ola ist viel zu hoch. Der Vater, dessen Beamtengehalt nicht ausreicht, um die Familie zu ernähren, erkrankt schwer. Die Schneiderei der Mutter wirft zu wenig ab, um die Behandlungskosten zu bestreiten. Auch Kings weiß nicht weiter.
Dabei gibt es Onkel Boniface, der helfen könnte. Onkel Boniface, oder Cash Daddy wie ihn einige nennen, ist unermesslich reich. Doch was man sich von der Herkunft dieses Reichtums erzählt ist höchst zweifelhaft. Soll es sich doch um Geld aus betrügerlischen Aktivitäten handeln. Als die Situation auswegslos wird, überwindet sich die Familie und bittet den Onkel um Hilfe. Nach dem Tod des Vaters sieht Kings als neues Familienoberhaupt keine andere Möglichkeit mehr, als das Angebot von Cash Daddy anzunehmen und für ihn zu arbeiten. Kings ist gut in diesem Job. Auf seine erfundenen Geschichten über riesige Vermögen, an die man nur mit Hilfe von außen herankommt, gegen eine entsprechende Vorleistung, erhält er tatsächlich Antworten. Der erste Zahlungseingang wirkt wie eine Initialzündung. Er wird immer geschickter im Erfinden von Geschichten, Zahlung auf Zahlung folgt auf immer wildere Versprechungen hin, die Kingsley ernstlich nie erfüllen will. Er gewinnt Cash Daddys Skrupellosigkeit immer mehr Sympathie ab. Schließlich hat sein Onkel ein kleines Imperium aufgebaut, ist reich geworden und wird von vielen Wohlhabenden geachtet.
Cash Daddy ist ein großspuriger Betrüger, einer, der auf die Gutgläubigkeit und die Gier der Mugus, der Weißen absetzt. Ohne sie hätte er keine Chance auf einen einzigen Dollar. Die Praktiken des Vorschussbetruges beherrscht der joviale Onkel perfekt.Doch er ist auch getrieben von Ehrgeiz zu Höherem. Er hat sich mächtige Freunde geschaffen und ist auf dem Sprung, um in der Politik mitzumischen.
Anschaulich schildert Nwaubani, wie in Nigeria zwei Sozialsysteme aufeinander prallen. Zum einen der Staat, in dem die verschiedensten Ethnien mit ihren jeweiligen Sprachen, Religionen und Traditionen leben, die nur wenig miteinander gemein haben. Während die Regierungen kaum Loyalität genießen, ist die Hilfsbereitschaft innerhalb der Familie, des Klans oder des eigenen Volkes groß. So ist es für Cash Daddy selbstverständlich, Kings und seiner Familie mit seinem Geld unter die Arme zu greifen. Er sorgt für das Bezahlen der Rechnungen, für Kleidung, Ausbildung.
Der Roman ist weit mehr als die Beschreibung dieses Vorschussbetruges. Er schildert die Lebensumstände in Nigeria, das unermesslich reich an Bodenschätzen ist, dessen Regierung aber nicht bereit ist, seine Bürger an den Einkünften aus diesem Reichtum zu beteiligen. So gibt es eine kleine Clique von Gewinnlern, die mit fragwürdigen Praktiken Hunderte Millionen von Dollar scheffeln. Auf der anderen Seite gibt es die in Armut versinkende Bevölkerung und eine korrupte, schlecht bezahlte Beamtenschaft. Armut macht die Menschen zu Zynikern. Das erzählt Nwaubani nicht mit erhobenem Zeigefinger sondern mit schwarzem Humor. Sie beschreibt, wie Kings schockiert ist über die verkohlten Leichen, die die Straßenränder der Hauptstadt säumen. Dabei haben die Einwohner nur den Rat der Edlen befolgt und das Heft des Handelns in ihre eigenen Hände genommen. Sie üben Justiz nach ihren eigenen Gesetzen. Strafverfolgung, Verurteilung und Vollstreckung geschieht mittels Autoreifen und Benzin.
Der große Zwiespalt des Romans dreht sich darum , ob es besser ist, arm aber ehrlich zu sein oder ob man ein Recht darauf hat, mit unlauteren Mitteln seine Existenz zu bestreiten, wenn die Not zu groß wird. Nwaubani sympathisiert mit ihrem zwiespältigen Helden, der keine andere Chance sieht, als sich in ein System einzuklinken, das aus der Gier gutgläubiger Weißer Profit schlägt.