Aké. Jahre der Kindheit
von Wole Soyinka (Nigeria). Ammann Verlag, Zürich 1986.
Eine umwerfend gut geschriebene Kindheitsbiographie aus einer westafrikanischen Missionsstation um 1930.
Die Kindheitsbiographie von Wole Soyinka ist wirklich eindrucksvoll. Schon auf den ersten Seiten wird man in eine afrikanische Missionsstation versetzt, wie sie im vorigen Jahrhundert wohl ausgesehen hat. Die Missionsstaion Aké, um 1930: Pfarrhaus, Schule, das Wohnhaus des Rektors bilden einen faszinierenden Kosmos, der von Woles Vater Essay beherrscht wird.
Abeokuta – eine Kleinstadt macht Geschichte
Woles Mutter „Wild Christian“ ist das emotionale Kraftfeld in Aké. Die resolute, geschäftstüchtige Kleinhändlerin ist unendlich gütig und gleichzeitig gnadenlos streng. Sie sammelt die elternlosen Kinder des Ortes ein und gibt ihnen in ihrem Haus eine Heimat. Woles Vater Essay leitet die Missionsschule. Er regiert nicht nur die Schülerschar und verfügt, dass der lernbegierige Wole weit vor dem Einschulalter die Schulbank drücken darf. Er leitet auch den leidenschaftlichen Debattierclub der Missionsgemeinde, bei dem die Gastfreundschaft von Wild Christian eine bedeutende Rolle spielt. Essay ist Woles Vorbild und Verbündeter – aber auch sein unerbittlicher Zuchtmeister. Seine Strafen verteilt er nach einem undurchschaubaren Zeitplan, flößt den Kindern Angst und Schrecken ein. Wie Essay einen Lehrerkollegen bestraft, weil der sich in seinem geliebten Rosengarten zu schaffen macht, ist ein Glanzstück von Wole Soyinkas Erzählkunst.
Ganz anders als sein Vater Essay erscheint da Woles Großvater in Isara. Dessen Autorität und wie auch die Art der Erziehung rühren noch von den Gesetzen der traditionell lebenden Yorouba her. Der Großvater, genannt der „Vater“, weiht den Enkel in einer geheimnisvollen Initiation in das magische Wissen seiner Vorfahren ein und versucht ihn fitt zu machen für den künftigen Lebensweg, der den kolonialen Gesetzen der britischen Einwanderer unterworfen ist. Denn der Großvater ahnt, welche Herausforderungen auf seinen begabten Enkel warten. Höhepunkt der Kindheitserinnerungen ist der Aufstand der Frauen von Abeokuta gegen die erdrückenden Steuerlasten der britischen Kolonialverwaltung. Fünfzehn Jahre vor der Unabhängigkeit Nigerias wirkt der Aufstand wie ein Symbol für den Aufbruch afrikanischer Völker in die Freiheit. Und er ist ein Dokument für die kämpferischen Nigerianerinnen, die sich früh das Gedankengut der europäischen Frauenrechtlerinnen zu eigen machen.
„Wer immer dir Nahrung anbietet, nimm sie an. Iß sie. Hab keine Angst, solange dein Herz dir sagt, iß. Sobald du aber den geringsten Argwohn hegst, sei es nur für einen Augenblick, nimm nichts an und betrete das Haus nie wieder!“ So lautete der Rat des Großvaters an seinen Enkel Wole Soyinka anlässlich der Initiation.
Wole Soyinka ist der erste Autor aus Schwarzafrika, der 1986 für sein Erzählwerk den Literaturnobelpreis erhielt. Der Autor gehört zum Volk der Yorouba, einem der größten Völker in Nigeria.
Über Wole Soyinka
Wole Soyinka, geboren 1934 in Abeokuta, West-Nigeria, ist Angehöriger der Yoruba. Unter den Göttern seines Volkes hat er Ogun, den Herrscher über das Eisen, den Krieg und die Schaffenskraft, zu seinem Schutzgott erwählt. Das Zwitterhafte dieser Gottheit versinnbildlicht sehr gut Soyinkas Naturell, einerseits seine Liebe für Wortgefechte, seine kämpferische, politische Natur, andererseits seine humanistische Einstellung, sein tiefes Gefühl für menschliche Würde, von dem sein gesamtes Werk durchdrungen ist.
Er hat neben seinen biographischen Schriften mehrere Romane verfasst, Essays, Gedichte, sein Hauptwerk bilden die mehr als zwanzig Theaterstücke, darunter „A Dance of the Forests“ (Dt.: Tanz der Wälder, in: Stücke Afrikas. Hg.von Joachim Fiebach, Berlin 1974), und „Madmen and Specialists” (Dt.: „Die Verrückten und die Spezialisten”, in Wole Soyinka: Stücke, Berlin 1987).
Wole Soyinka besuchte das University College von Ibadan. Er ging nach Großbritannien, studierte Literatur- und Theaterwissenschaft und arbeitete als Dramaturg am Royal Court Theatre in London. Nach seiner Rückkehr war er mit Forschungstätigkeiten an verschiedenen nigerianischen Hochschulen betraut, schrieb seine ersten Stücke. Während des nigerianischen Bürgerkriegs wurde er mit dem Vorwurf, Parteigänger für ein unabhängiges Biafra unterstützt zu haben, verhaftet und ohne offizielle Anklage im Gefängnis von Kaduna interniert. In der mehr als zweijährigen Einzelhaft schrieb er das Gefängnistagebuch „Der Mann ist tot“ (1973/1979), eine der eindringlichsten Schilderungen über die geistigen und psychischen Auswirkungen von Willkürjustiz.Er geht danach ins Ausland, arbeitet in England, Frankreich, dann Ghana, bevor er 1976 nach Nigeria zurückkehrt, um die Leitung des „Department of Dramatic Art“ an der Universität von Ile-Ife zu übernehmen. 1993 gerät er wieder unter Druck. Als er das Militärregime wegen der Annullierung der Präsidentschaftswahlen kritisiert, muss er ein Jahr danach das Land verlassen. 1997 wird ein Haftbefehl gegen ihn erlassen wegen Hochverrats.
„Einige Leute denken, mit dem Nobelpreis hat man eine kugelsichere Weste. Ich hatte nie diese Illusion.“ stellte Soyinka fest. Er lebt seit vielen Jahren an wechselnden Orten in den USA und hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, irgendwann nach Nigeria zurückkehren zu können.
Hier hörst du einen Auszug aus der Biographie Aké. Jahre der Kindheit