Sozaboy
von Ken Saro-Wiwa
„Sozaboy“ ist ein afrikanischer Antikriegsroman, geschrieben 1985 in Nigeria. Ken Saro-Wiwa erzählt darin von dem Lastwagenfahrerlehrling Mene,, der in einem Dorf in einem ungenannten afrikanischen Land lebt, hinter dem sich Nigeria erkennen lässt. Mene ist ein afrikanischer Simplicius Simplicissimus, naiv und einfältig. Sein Chef macht Profit aus dem Transport von Flüchtlingen, und er selbst macht sich keine Gedanken über die Ursachen dieses Menschenstroms. Allerdings bleibt auch ihm nicht verborgen, wie sich auch in seinem Dorf die Lage zusehends verändert. Immer häufiger tauchen Soldaten auf, sie genießen den Respekt der Dorfbewohner, sogar der Chief des Dorfes hat vor ihnen Angst. Seine Freundin stachelt Mene an, zur Armee zu gehen, dann würde auch er eine Respekt einflössende Uniform tragen. Als „soldier boy“, Sozaboy im örtlichen Dialekt, genießt er plötzliche Wertschätzung. Er heiratet und ist jetzt ein Mann. Mene begibt sich zur nächsten Rekrutenstelle. Was folgt, ist eine Litanei des Leidens, Mordens und Zerstörens. Er flieht von der Front, wird gefangen und gefoltert, dient der gegnerischen Armee, flieht wieder und kehrt schließlich in sein inzwischen zerstörtes Heimatdorf zurück. Er sucht die Flüchtlingslager ab, um seine Frau und Mutter wieder zusehen und muss begreifen, dass er durch den sinnlosen Krieg alles verloren hat.
Eine Schlüsselfigur ist Erstkommtsfressen, ein Opportunist voller Grausamkeit und Widersprüchen, der bereitwillig alles tut, wenn es die Umstände verlangen. Sozaboy begegnet ihm in den verschiedensten Situationen wieder.
„Nur Gott weiß, was Erstkommtsfressen an dem Tag mit mir gemacht hat. Als er mit der Koboko (Peitsche) fertig war, habe ich überall geblutet. Ich habe gebetet, ich will sterben. . . . Danach haben sie meine ganzen Haare abrasiert, und dann haben sie mich in eine kleine Hütte gesperrt. Wir waren viele in der Hütte. Und die ganze Zeit, die wir da drin waren, haben wir kein Essen gekriegt. Nur ein bißchen Wasser. Und man konnte auch nicht rausgehen, wenn man mal musste. Alle haben in diesen kleinen vollgeschissenen Knast gepisst und gekackt. Ich habe mich gefragt, warum hab‘ ich bloß meiner Mama nicht gehorcht? Warum bin ich bloß zur Armee gegangen?“
Mit seiner scheinbar naiven Erzählerperspektive und seiner derben Sprache ist der Roman eine Herausforderung für den Leser. Dennoch ist Sozaboy empfehlenswert, denn er macht klar, dass sich die Grausamkeiten und Verrohungen nicht in geschliffener Sprache schildern lassen. Diese würde den Wahnsinn und das Leid des Krieges nur abschwächen.
Über den Autor
Ken Saro-Wiwa war nigerianischer Freiheitskämpfer und Umweltaktivist. Sein Leben ist eng verknüpft mit der Geschichte Nigerias, als es noch unter einer Militärregierung stand und mit seinem Volk, den Ogoni, die im Nigerdelta ansässig sind. Ken Saro-Wiwa war ein politisch denkender und sehr vielseitiger Autor. Er schrieb Romane, Kindergeschichten, Gedichte und Theaterstücke. Sein Anti-Kriegsroman Sozaboy, (1985) enthält eine Erkenntnis, die für alle Kriege zu allen Zeiten gilt: Kein Motiv ist gut genug, um einen Krieg zu rechtfertigen. Egal auf welcher Seite man kämpft, man ist immer der Verlierer.
Ken Saro-Wiwa, 1941 in Bori im Südwesten Nigerias geboren, war Sohn des Geschäftsmannes und Clanchefs Jim Beesom Wiwa, und der Farmerin Widy. Ken Saro-Wiwa galt als Wunderkind und Musterschüler, er konnte schon mit acht Monaten laufen und lernte schnell. Geboren zu einer Zeit, als Nigeria noch unter britischer Kolonialherrschaft stand, bewunderte Ken Saro-Wiwa anfangs die Lebensart der Briten. Doch das sollte sich bald ändern.
Ken Saro-Wiwa, die britische Kolonialverwaltung und Royal-Dutch-Shell
Nach dem Abschluss an der Universität von Ibadan arbeitete Ken Saro-Wiwa als Regierungsbeamter in der Verwaltung von Lagos. Als Administrator des Ölhafens Bonny hatte er einen Überblick über die Erölförderungen im Gebiet seines Volkes. Die Ogoni siedelten im Nigerdelta, auf dem sich ausgedehnte Ölfelder befanden. Und nun kommt die britische Royal-Dutch-Shell ins Spiel. Die Firma war auf die Erdölvorkommen gestoßen und förderte „das schwarze Gold“ ohne Rücksicht auf die Umwelt und die Siedlungen des nigerianischen Volkes. Innerhalb weniger Jahre hatte Shell die Gebiete der Ogoni verwüstet. Ken Saro-Wiwa organisierte Protestkundgebungen und gründete 1989 die Organisation „Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes“, die MOSOP. Die Ogoni waren verarmt, ihr Land verwüstet, und die nigerianische Militärregierung unter Sani Abacha hatte das Volk von den Einnahmen aus der Erdölförderung ausgeschlossen. Mit gewaltfreien Aktionen protestierte die MOSOP gegen die Zerstörung. An einer Demo soll mehr als die Hälfte der Bevölkerung beteiligt gewesen sein. Shell musste vorübergehend seine Tätigkeiten im Ogoni-Gebiet einstellen. Sani Abacha liess das Gebiet militärisch besetzen, um den Protest im Keim zu ersticken.
Ken Saro-Wiwa wurde verhaftet und ohne reguläres Verfahren monatelang festgehalten. Im Mai 1994 spitzte sich die Lage zu. Ken Saro-Wiwa wurde ein weiteres Mal verhaftet, mit ihm acht Mitstreiter von MOSOP. Ihnen wurde Anstiftung zum Mord vorgeworfen, ein spektakulärer Schauprozess wurde inszeniert, Zeugen wurden bestochen. Eine Reihe von Verteidigern legte das Mandat nieder aus Protest gegen die Rechtmäßigkeit des Verfahrens. Ken Saro-Wiwa und seine Mitstreiter mussten sich selbst verteidigten, und liefen in eine juristische Falle. Ken Saro-Wiwa und seine Mitstreiter wurden zum Tod verurteilt. Menschenrechtsorganisationen attackierten dieses Urteil. Ken Saro-Wiwa erhielt ein halbes Jahr später den Alternativen Nobelpreis sowie den Goldman Enivronmetal Prize. Beide Auszeichnungen schützten ihn nicht. Trotz internationalen Protests wurde das Urteil unter den Augen der Weltöffentlichkeit vollstreckt. Nigeria wurde aus dem Commonwealth of Nationes ausgeschlossen.
Kritiker warfen Royal-Dutch-Shell eine Mitschuld am Tode des Schriftstellers und seiner Mitstreiter vor. Die Auseinandersetzung hatte ein Nachspiel: Am 9. Juni 2009 verglich sich der Konzern außergerichtlich mit den Hinterbliebenen von Ken Saro-Wiwa und den anderen acht Hingerichteten und zahlte mehr als 15 Millionen US $, um nicht vor einem US-Bezirksgericht wegen Menschenrechtsverletzungen angeklagt zu werden.
Aus heutiger Sicht ist Ken Saro-Wiwas Schicksal ein Beispiel für den Zustand einiger afrikanischer Länder nach dem Ende der Kolonisierung. Die europäischen Machthaber hatten die meisten afrikanischen Länder in die Unabhängigkeit entlassen, doch im Inneren wirkten sie an der Staatenbildung mit. Sie verhalfen jenen afrikanischen Eliten an die Macht, die bereit waren, ihre wirtschaftlichen Interessen zu unterstützten. Wie der Militärdiktator Sani Abacha die Ölförderung durch Shell in Nigeria unterstützte.